Vom unterirdischen Strom eines relationalen Materialismus. Sieben Thesen zur Verweigerung der Arbeit:
I.
Verweigerung der Arbeit betrifft nicht bloß die Verweigerung derjenigen Arbeit, die «verweigert werden kann», d.h. der fordistisch organisierten Lohnarbeit. Einen umfassend radikalen Charakter gewinnt sie dann, wenn sie die Arbeit mitmeint, die von den Arbeitenden gar nicht verweigert werden kann. Um die Verweigerung dieser prekarisierten Arbeit zu denken, muss nach der Verweigerung derjenigen Arbeit gefragt werden, die wir nicht verweigern wollen können, namentlich der Sorgearbeit und einem Teil künstlerischer Arbeit.
II.
Verweigerung der Arbeit ist produktiver als die Disziplin. Disziplin produziert Faulheit auf erweiterter Stufe, Verweigerung der Arbeit führt hingegen unweigerlich zur Sorge in deren immanenten Univozität von Turbulenz und Liebe. Die Befreiung von Arbeit befreit das Potential der Arbeit aus deren Fesseln, wohingegen die Disziplin nur soldatische, destruktive, maskuline Tugenden produziert, die uns vielleicht auf den Mond führen, aber hier nicht leben lassen.
III.
Im krassen Unterschied zur faktischen Unsicherheit jeglichen Lebens produziert die Prekarisierung nicht eben Verweigerung, sondern verschärft im Gegenteil den Zugriff der Disziplin auf Leben und Körper. Sie ermöglicht hypothetisch zwar Kreativität im Curriculum Vitae, muss aber zuvor die Kunst im Hier und Jetzt getötet haben.
IV.
Bei Duchamps großer Verweigerung sind nur die Vorzeichen privilegierter Art. Kunst können und Schach meistern wie auch der maskuline Geniekult ermöglichen zwar eine vor allem metaphysische Resonanz. Die Verweigerung bringt aber auch noch so abgedroschene Überirdische zurück in eine weniger beachtete physische Gegenwart. Die Raster zu queeren prozessiert im Sozialen und Relationalen nachhaltige Verschiebungen, die eine allfällige individuelle Affirmation der vorherrschenden Strukturen jedenfalls überwiegt. Insofern bedeutet diese Verweigerung ein revolutionäres Eintreten in ein Minoritär-Werden, das über eine poetische Subjektivierungsweise die das Subjekt konstituierende Produktionsweise sabotiert. Situiert in kontemporären Milieus der Prekarität, kommt es darauf an, nicht eben Duchamps Gesten zu interpretieren, sondern den dissidenten Kern seiner Arbeit der Verweigerung der Arbeit in die gemeinsame Gegenwart zu konjugieren und diese zu verändern.
V.
Die Differenz von der Fügung der Lohnarbeit und des ungefügigen Charakters künstlerischer und sorgender Verweigerung entspricht aufs genaueste der Differenz zwischen einem Materialismus der ökonomistischen Determination und einem der Abweichung. Bestimmt bei ersterem das ökonomische Sein das Bewusstsein, so kommt bei zweiterem der parallele Regen der kleinsten Teile durcheinander. Ist der erste auch dann majoritär konnotiert, wenn das Lohnarbeits-Proletariat damit angesprochen wird, so ist der zweite hingegen aleatorisch, subversiv und relational: ein minoritärer Materialismus der Sorge. Der reduktionistische Materialismus ist folglich geeignet, die vorherrschenden Verhältnisse zu zementieren, der relationale Materialismus aber als einziger wirklich in der Lage, Klasse zu schaffen.
VI.
Verweigert werden kann Arbeit zuletzt nur in der und durch die Sorge (was sich am Umstand erkennbar macht, dass die Verweigerung von Sorgearbeit unweigerlich Sorge impliziert), die Erwartung einer sich einstellen sollenden transzendenten Situation wird jedenfalls enttäuscht. Die transgressive Situation ist jedoch gegeben und primär, paradigmatisch zeugen davon situierte Dérives durch Milieus der Sorge (vgl. die Praxis der militanten Untersuchungen der Precarias a la Deriva), die nicht etwa außerhalb der gesellschaftlichen Fabrik zu liegen kommen, sondern in deren Mitte und allenfalls darunter. An diesen erscheint somit der Charakter einer (nicht reduktionistisch zu begreifenden) ökologischen (oder vielmehr noch: ökopoetischen) Basis unter der ökonomischen Basis, mit beiden Eigenschaften dieser topischen Metapher: die Milieus der Sorge erfahren die Belastung der auf ihr bauenden Ökonomie, sind folglich aber auch notwendig für das Überleben dieses keineswegs in der Luft hängenden Gebildes. Hieraus nach Verweigerung zu fragen (eine radikale Provokation der Vorstellungskraft) ist politisch der größtmögliche Hebel des Widerstands, da es dem großen Projekt die befangene Liebe entzieht und somit der nicht-korrupten Liebe Raum eröffnet.
VII.
Die Verweigerung der Arbeit betrifft das Ökonomische, das Körperliche, das Zeitliche und Räumliche zugleich, d.h. sie unterwandert entsprechende Setzungen und Trennungen und führt sie webend zusammen. Im Unterschied zum dialektischen Arbeitskampf, wie auch zur Praxis der Sabotage, die zwar beide jeweils Aspekte davon angehen können, ohne aber auf dem Boden dieser Milieus anzukommen, vermag die Frage nach einem erweiterten Begriff der Verweigerung das zentrale Element aller Kämpfe um die Arbeit zu artikulieren, dasjenige nämlich, das wie Carla Lonzi feststellt, die feministische Sorgeperspektive mit derjenigen künstlerischer Praxis gemeinsam hat: das unmittelbare Zusammenfallen von Tätigkeit und Sinn – einer Sinnhaftigkeit notabene, die sich nicht in ökonomischer Subsistenz, Gesundheit, Freizeit oder Lebensraum erschöpft, sondern in deren Konjunktion ein lebendiges Gewebe produziert.
Literatur:
Mariarosa Dalla Costa & Selma James: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin: Merve 1973.
Mariarosa Dalla Costa: «Über den Generalstreik», 1974, http://madame-psychosis.com/essays/ueber-den-generalstreik/.
Precarias a la Deriva: «Provokation der Vorstellungskraft», in: Arranca N°31: Age of Precarius. Prekär und permanent aktiv, 2005.
Precarias a la Deriva: «Die Prekarisierung der Existenz», in: Renate Lorenz & Brigitta Kuster: Sexuell arbeiten. Eine queere Perspektive auf Arbeit und prekäres Leben: Berlin: B-Books 2007.
Precarias a la Deriva: Was ist dein Streik? Militante Streifzüge durch die Kreisläufe der Prekarität, Wien: Transversal 2014.
Verónica Gago et al.: 8M. Der große feministische Streik, Konstellationen des 8. März, Wien: Transversal 2018.
Maurizio Lazzarato: Marcel Duchamp und die Verweigerung der Arbeit, Wien: Transversal 2017.
Carla Lonzi: «Wir pfeifen auf Hegel», in: Dies.: Die Lust Frau zu sein, Berlin: Merve 1975.
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Michael Grieder: Vom unterirdischen Strom eines relationalen Materialismus. Sieben Thesen zur Verweigerung der Arbeit, 2019Arbeit
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